Mensch schlägt Maschine: SEO im KI-Zeitalter – Ein Gespräch mit Christian Ott

Christian Ott von Seo Kreativ im Interview.

SEO ist längst kein Geheimlabor mehr, sondern ein Spiegel dafür, wie Wissen, Macht und Sichtbarkeit im Netz verteilt werden. Zwischen KI-generierten Antworten, Core Updates und Content-Fluten bleibt eine Frage offen: Wie viel Mensch steckt eigentlich noch in der Suchmaschinenoptimierung?

Christian Ott, Jahrgang 1985 aus dem Saarland, will genau das herausfinden. Der Kopf von SEO Kreativ, der mit seinem Projekt SEO-Wissen teilt und komplexe Prozesse verständlich machen will, steht für eine Haltung, die in der Branche selten geworden ist: Ehrlichkeit, Struktur – und der Mut, Dinge kritisch zu hinterfragen. Im Gespräch erklärt er, warum KI zwar hilft, aber auch gefährlich werden kann, weshalb Verständlichkeit revolutionär ist – und wieso das goldene SEO-Mantra „Content is King“ dringend reformiert gehört.

Christian, dein Weg führte vom Ingenieurbau in die Welt der Suchmaschinen. Wie kam es zu diesem Wechsel – und was hat dich damals so an SEO fasziniert?
Das ist eine spannende Frage, die oft aufkommt. Ehrlich gesagt war SEO für mich schon immer eine große Leidenschaft und ein Hobby, lange bevor es zum Beruf wurde. Der Ingenieurbau hat mir geholfen, Prozesse und Strukturen zu denken, aber die Welt des Internets und die Mechanik von Google, also die Art, wie Wissen organisiert und auffindbar gemacht wird, hat mich deutlich stärker in den Bann gezogen.
Für mich war einfach klar, dass es beruflich irgendwann in diese Richtung gehen muss. Was mich von Anfang an fasziniert hat, war die Transparenz des Algorithmus und die direkte, messbare Kausalität. Du machst deine Hausaufgaben richtig – Stichwort saubere Semantik, Nutzerintention – und Google belohnt dich mit Sichtbarkeit. Das ist Gold wert, weil es kein Glücksspiel ist, sondern angewandte Wissenschaft.

Inwiefern hilft dir dein technischer Hintergrund heute dabei, SEO analytisch und strukturiert zu denken?
Ingenieure denken in Systemen, in Abhängigkeiten und Prozessen. Das ist eine unschlagbare Basis. Beim SEO-Audit suche ich nicht nach Einzelproblemen, sondern nach der systemischen Schwachstelle im Fundament. Ich betrachte eine Website als ein komplexes, statisches System, das stabil sein muss.
Der technische Hintergrund hilft mir, die Logik hinter der Suchmaschine zu verstehen: Wie crawlt Google, wie indexiert es, wie bewertet es die Daten? Ich nutze dieses Wissen, um Content nicht nur kreativ, sondern strukturiert und semantisch perfekt aufzubauen. Im Grunde ist es ein Bauplan für semantische Architektur.

Wenn du heute durch LinkedIn scrollst, klingt jeder zweite Post nach „SEO-Geheimformel“. Wie viel Hokuspokus steckt wirklich noch in der Branche?
Jap, richtig gehört, der SEO-Dschungel wuchert auf Social Media. Die Realität ist: Die „Geheimformel“ ist keine Formel, sondern saubere Arbeit und E-E-A-T. Der Hokuspokus kommt von denen, die keine fundierte Expertise haben und schnellen Erfolg versprechen.
Ich bin transparent: Es gibt keine Tricks, nur die konsequente Beantwortung der Nutzerintention und das Schaffen eines überlegenen Inhalts, der faktengestützt ist. Finger weg von jedem, der dir einen Shortcut zu Googles erstem Platz verspricht.

Google spricht ständig von „Helpful Content“, während KI-generierte Texte das Netz fluten. Ist das nicht ein Widerspruch in sich?
Das ist der zentrale Konflikt der Stunde. Nein, es ist kein Widerspruch – es ist die ultimative Qualitätsfilterung. KI-generierter Text, der nur auf Keywords optimiert ist, ohne echte Expertise, echte Daten und einen menschlichen Blickwinkel, ist seelenloser Content. Genau das will Google mit dem Helpful Content System erklärt aussortieren.
Du musst KI als Werkzeug begreifen, das dir bei der Recherche und Struktur hilft, aber die Expertise, Experience und Haltung muss von dir kommen. Das ist Helpful Content.

Würdest du sagen, dass SEO heute mehr Psychologie als Technik ist – also das Verstehen menschlicher Intentionen statt nur Algorithmen?
Ich würde sagen, es ist eine 50/50-Teilung. Die Technik (Crawlbarkeit, Ladezeit, Core Web Vitals) ist das Fundament – ohne das fällt der Bau zusammen. Aber der Schlüssel zum Ranking liegt in der Psychologie. Wir müssen verstehen, warum der Nutzer sucht. Sucht er eine Definition (informativ)? Sucht er ein Produkt (transaktional)? Die Algorithmen sind nur ein Spiegelbild dieser menschlichen Intention. Wer die Absicht des Suchenden am besten erfüllt, gewinnt.

Du arbeitest mit KI, aber auch kritisch darüber. Wo ziehst du persönlich die Grenze: Wann hilft KI, wann macht sie uns dümmer?
KI hilft uns massiv bei der Datenerfassung und Strukturierung. Sie ist fantastisch für Themen-Clustering, Entitäten-Extraktion, Long-Tail-Recherche und als Recherche-Assistenz.
Sie macht uns dümmer, wenn wir sie für die Synthese und die Haltung nutzen. Wenn du eine KI bittest, einen Text über deine Erfahrung zu schreiben, liefert sie generische Plattitüden. Die Grenze ist ganz klar: KI ist der perfekte Assistent, aber niemals der Experte. Dein Fachwissen ist der Input, den die KI verarbeiten soll, nicht der Output, den du ungeprüft übernimmst.

Wenn KI künftig direkt Antworten liefert, brauchen wir dann überhaupt noch Websites – oder nur noch Prompt-Ingenieure?
Stell dir vor, du fragst Google SGE (AI Overview), welche Kamera die beste ist. Die KI spuckt dir eine Antwort aus. Aber woher hat sie die Information – und vor allem: wem vertraut sie dabei? Sie aggregiert Wissen von autoritativen Websites.
Der Job des Prompt-Ingenieurs ist nur die halbe Miete. Der wahre Mehrwert liegt im Content-Ingenieur, der Fakten so strukturiert, belegt und semantisch verpackt, dass die KI sie als „Source of Truth“ wählen muss. Websites werden zur unverzichtbaren Wissensbasis.

Viele glauben, SEO werde von KI „aufgefressen“. Was antwortest du denen, die sagen: „Das Spiel ist vorbei“?
Diese apokalyptischen Stimmen höre ich seit über zehn Jahren, seit dem ersten Core Update. Meine Antwort ist kurz: Das Spiel beginnt jetzt erst richtig!
SEO wird nicht „aufgefressen“ – es verändert sich. Wir machen keine Arbeit mehr, die eine Maschine besser kann. Ich fokussiere mich auf das, was der Mensch liefert: E-E-A-T, Originalität, Haltung, einzigartige Studien. Wer heute nur Mittelmaß liefert, hat verloren. Wer unverwechselbaren Content erstellt, wird zum Goldstandard der KI.

KI spuckt inzwischen Content aus, der sauber, korrekt und komplett seelenlos ist. Wie bringst du in deinen Projekten wieder Menschlichkeit rein?
Menschlichkeit kommt durch die persönliche Haltung und das E-E-A-T-Trio: Erfahrung, Expertise und Vertrauen.
Erfahrung zeige ich über Fallstudien. Expertise durch klare Empfehlungen und Haltung. Und beim Tone of Voice bleibe ich nahbar – SEO-Kreativ ist kein trockenes Lexikon. Ich schreibe, um zu motivieren. Ich nehme den KI-Entwurf, verfeinere ihn mit Daten und gebe ihm dann die SEO-Kreativ-Seele.

Du hast SEO Kreativ gegründet, um Wissen zu teilen. Warum teilst du freiwillig Know-how, das andere als Geschäftsgeheimnis hüten?
Ganz einfach: Transparenz schafft Vertrauen und Autorität. Viele halten ihr Wissen zurück, weil sie Angst haben, dass Kunden es dann selbst machen. Ich habe keine Angst. Ich möchte, dass meine Leser besser werden.
Wer meine Beiträge liest und versteht, weiß: Ich bin ein Experte, der komplexe Dinge nicht nur erklären, sondern auch umsetzen kann. Wer nur konsumiert, bleibt Leser. Wer umsetzen lässt, wird Kunde. Eine Win-win-Strategie.

Gibt es Themen, bei denen du bewusst nichts verrätst, weil du weißt, dass Offenheit auch missbraucht werden kann?
Die einzige Grenze, die ich ziehe, ist der Bereich, der meinen Lesern schaden würde. Ich nenne das die „Finger weg von…“-Zone. Ich werde niemals Techniken lehren, die gegen die offiziellen Google Search Essentials verstoßen, weil das unweigerlich zu Penalties führt. Mein Fokus liegt auf nachhaltiger, ethischer Optimierung.

„SEO verständlich machen“ klingt einfach – aber ist Verständlichkeit in dieser Branche nicht fast schon revolutionär?
Es ist in der Tat oft so, als würden viele Experten einen akademischen Elfenbeinturm bauen, um ihre eigene Wichtigkeit zu untermauern. Ich sage: Stell dir vor, du erklärst es deiner Oma – würde sie es verstehen?
Verständlichkeit ist der Hebel zur Anwendbarkeit. Nur wenn du es verstehst, kannst du es umsetzen. In einer Branche voller Jargon ist das fast schon revolutionär – aber es ist der Kern meiner Arbeit.

Du betonst, du arbeitest datengetrieben. Aber Daten erzählen nicht immer die Wahrheit – sie spiegeln ja auch Nutzerverhalten, das manipuliert werden kann. Wie gehst du mit dieser Ambivalenz um?
Daten sind niemals die absolute Wahrheit – sie sind Indikatoren. Ich vertraue nicht einem Datensatz, sondern suche die Korrelation über mehrere Quellen.
Wenn Daten keinen Sinn ergeben, ist das für mich ein Warnsignal. Ich entscheide auf Basis von: Daten + Logik + Google-Konformität.

Der Beruf des SEOs verändert sich rasant. Wird der nächste große SEO-Star ein Programmierer, ein Datenanalyst – oder ein Geschichtenerzähler?
Der nächste große SEO-Star wird keiner dieser Typen in Reinform sein. Wir brauchen Experten mit Tiefe – Menschen, deren Kompetenz keine KI ersetzen kann.
Nicht der Programmierer, sondern der Tech-Versteher. Nicht der Analyst, sondern der Stratege. Nicht der Geschichtenerzähler, sondern der authentische Experte mit Haltung.

Wenn du die SEO-Welt reformieren könntest: Welches Dogma würdest du als Erstes abschaffen?
Ich würde das Dogma abschaffen, dass „Content King“ ist. Dieses Mantra hat zu viel seelenlosen Masse-Content produziert. Meine Reform wäre: „Exzellente Experience ist King.“
Es geht nicht darum, mehr zu schreiben, sondern besser. Content muss echten Nutzen bringen und den E-E-A-T-Test bestehen. Wir müssen aufhören, für den Algorithmus zu schreiben – und anfangen, für den Menschen zu denken.

Christian Ott ist SEO-Experte und Gründer von seo-kreativ.de. Er entwickelt datengetriebene Strategien für nachhaltige Sichtbarkeit und teilt sein Wissen offen mit der Community.

Interview: Thomas Jan Krajniewski
Erschienen auf beachtenswert.info am 17. Oktober 2025

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