Leguan auf natürlichem Floss auf dem Meer.

Wie Leguane vor 34 Millionen Jahren den Pazifik überquerten

Vor etwa 34 Millionen Jahren fand eine der außergewöhnlichsten Tierwanderungen der Erdgeschichte statt. Neue genetische Untersuchungen zeigen, dass die Vorfahren heutiger Leguane der Gattung Brachylophus, die ausschließlich auf abgelegenen Inseln wie Fidschi und Tonga leben, eine bis zu 8000 Kilometer lange Reise über den Pazifik unternommen haben.

Die Tiere trieben auf natürlichen Vegetationsflößen von der westlichen Küste Nordamerikas bis zu den südpazifischen Inseln – eine Strecke, die rund einem Fünftel des Erdumfangs entspricht. Diese Reise macht sie zu den wohl weitgereistesten landlebenden Wirbeltieren, die je einen Ozean überquert haben. Veröffentlicht wurde die Studie im Fachjournal Proceedings of the National Academy of Sciences.

Ein seltener Fall von „Sweepstakes-Dispersal“

Die Autoren der Studie um Dr. Simon Scarpetta von der University of San Francisco sprechen von einem klassischen Beispiel des sogenannten „Sweepstakes-Dispersal“. Dieser Begriff bezeichnet seltene, meist durch Zufälle ausgelöste Ereignisse, bei denen Tiere durch Naturkatastrophen wie Stürme oder Überschwemmungen auf schwimmender Vegetation in bisher unbesiedelte Regionen gelangen.

Lange war unklar, wie die Leguane auf die entlegenen Inseln des Südpazifiks kamen. Frühere Theorien gingen davon aus, dass sie von Asien oder Australien aus über Landbrücken einwanderten oder später durch die Antarktis migrierten. Die neue Analyse widerlegt diese Hypothesen und belegt eine direkte ozeanische Überquerung aus Nordamerika – eine beispiellose Strecke für ein landlebendes Reptil.

Dass Leguane über große Distanzen auf dem Meer überleben können, zeigte bereits ein dokumentierter Fall aus dem Jahr 1995. Damals strandeten 15 grüne Leguane auf der Karibikinsel Anguilla, nachdem sie vermutlich auf einem Floß aus entwurzelten Bäumen etwa 320 Kilometer von Guadeloupe herangetrieben worden waren – ausgelöst durch einen Hurrikan.

Genetische Spurensuche im Tierreich

Scarpetta und sein Team analysierten die DNA von 14 heute lebenden Leguanarten, um die Ursprünge der fidschianischen Spezies zu bestimmen. Das Ergebnis: Ihre nächsten lebenden Verwandten sind Wüstenleguane der Gattung Dipsosaurus, die im heutigen Südwesten der USA und im Norden Mexikos vorkommen.

Die genetische Analyse legt nahe, dass sich die Linien vor rund 34 bis 30 Millionen Jahren voneinander trennten – also zu einer Zeit, als sich die heutigen Fidschi-Inseln vulkanisch formierten. Fossile Funde untermauern die nordamerikanische Herkunft zusätzlich: Wüstenleguane wurden bislang ausschließlich dort gefunden.

Frühere Annahmen, die eine Wanderung über die Antarktis oder eine Landverbindung über den Beringstraßen-Komplex nahelegten, erscheinen angesichts dieser neuen Daten als deutlich weniger plausibel. Durch die Nutzung verschiedener genetischer Modelle konnten Unsicherheiten in der Datierung der Artaufspaltung minimiert werden, was die Ergebnisse besonders robust macht.

Überleben auf offener See

Die Vorstellung, dass eine Reptilienart monatelang auf dem Ozean treiben kann, scheint zunächst kaum glaubwürdig. Doch gerade Leguane sind aufgrund ihrer Physiologie erstaunlich gut für solche Extremreisen gerüstet. Als ektotherme Tiere – also wechselwarme Organismen – benötigen sie wenig Energie zur Aufrechterhaltung ihrer Körpertemperatur und verbrauchen entsprechend weniger Nahrung. Wie Studienautor Dr. Jimmy McGuire von der University of California, Berkeley erläutert, sind Ektotherme bis zu 25-mal energieeffizienter als Warmblüter.

Hinzu kommt, dass viele Leguanarten an trockene Lebensräume angepasst sind und lange Phasen von Nahrungsknappheit und Dehydrierung überstehen können. Im Fall einer Ozeanreise könnten sie sich – zumindest zeitweise – von der sie tragenden Vegetation ernähren, etwa von Rinden, Blättern oder Algenansätzen auf dem Floß.

Simulationsrechnungen zufolge könnte die Reise zwischen zweieinhalb und vier Monaten gedauert haben – kürzer als zunächst angenommen. Die Forscher vermuten, dass große Stürme oder Flutereignisse ganze Pflanzenmatten inklusive Tierbesatz ins offene Meer spülten. Unter günstigen Bedingungen wären diese Flöße in der Lage gewesen, über Strömungen bis zu den südpazifischen Inseln zu treiben.

Fakten zur Überquerung

FaktDetails
Reisedistanzca. 8000 km (etwa 1/5 des Erdumfangs)
Zeitraum der Migrationvor ca. 34–30 Millionen Jahren
Nächste lebende Verwandte*Dipsosaurus* (Wüstenleguan), Nordamerika
Reisedauer (geschätzt)2,5 bis 4 Monate auf dem offenen Ozean
Ernährung auf der ReisePflanzenreste, Rinde, möglicherweise Algen
Vergleichbares EreignisGrüne Leguane trieben 1995 von Guadeloupe nach Anguilla (320 km)

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Ein Blick auf globale Artenverbreitung

Die Erkenntnisse zur Geschichte der pazifischen Leguane liefern wertvolle Hinweise auf die Mechanismen globaler Artenverbreitung. Besonders auf isolierten Inseln könnten solche „Zufallskolonisationen“ eine größere Rolle gespielt haben als bisher angenommen.

Dr. Shane Campbell-Staton von der Princeton University, der nicht an der Studie beteiligt war, betont die Bedeutung der Arbeit: „Wir wissen jetzt, dass ozeanische Dispersal nicht nur möglich ist, sondern entscheidend zur Entstehung heutiger Inselbiodiversität beigetragen hat.“

Die Arbeit unterstreicht, dass sich Evolution nicht nur in genetischen Veränderungen, sondern auch durch geographische Zufälle vollzieht. Selbst extreme Szenarien wie monatelanges Treiben über den offenen Ozean sind, unter den richtigen Bedingungen, kein Hindernis für das Leben.

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